1929
Arnulf Rainer wird am 8. Dezember in Baden bei Wien geboren und wächst in Berndorf bei Baden auf.
1940 – 1944
Er besucht die Nationalpolitische Erziehungsanstalt in Traiskirchen, Niederösterreich. Im Zeichenunterricht werden hauptsächlich Kriegsthemen behandelt. Rainer malt von Luftaufnahmen inspirierte, kartographische Landschaften mit Bombentrichtern, Bränden, Panzern und Flugzeugen; er vermeidet Figuren und Gesichter.
1944
Rainer verlässt die Schule, weil er vom neuen Zeichenprofessor gezwungen wird, nach der Natur zu zeichnen und beschließt, Künstler zu werden. Für ein knappes Jahr absolviert er das Realgymnasium in Baden. 1945 flüchtet er vor den russischen Besatzungssoldaten auf einem Fahrrad nach Kärnten zu Verwandten.
1945 – 1947
Es entsteht eine Serie von menschenleeren Kärntner Landschaften.
1947 – 1949
Rainer besucht bis zur Matura die Staatsgewerbeschule, eine Baufachschule in Villach. Er sollte später Architektur studieren, aber die Schule „war so schlecht, dass mir die Lust darauf vergangen ist“, so Arnulf Rainer. Seine Hauptbeschäftigung bildet damals bereits das Zeichnen und Malen auf Papier. Bei einer Ausstellung des British Council in Klagenfurt entdeckt Rainer die internationale zeitgenössische Kunst (Paul Nash, Francis Bacon, Stanley Spencer, Henry Moore). Er fängt an, Figuren und Gesichter zu zeichnen.
1948 lernt er den Surrealismus kennen, dessen Kunstverständnis, dass das Unbewusste, Nichtrationale eine wichtige künstlerische Gestaltungskraft besitzt, in den Folgejahren maßgeblich sein zeichnerisches Selbstverständnis prägt. Insbesondere das Moment der freien Phantasie faszinierte ihn besonders nach den diktatorischen Erfahrungen der nationalsozialistischen Erziehungsanstalt.
1948
Rainer beschäftigt sich mit den surrealistischen Revolutionstheorien und wird davon stark in seiner Arbeit beeinflusst. Er intensiviert den Kontakt mit den Schriftstellern Michael Guttenbrunner und Max Hölzer in Klagenfurt. Zur selben Zeit beginnt eine langjährige persönliche und künstlerische Beziehung und Freundschaft mit Maria Lassnig; ihr verdankt er auch seine erste Ausstellung in einer Buchhandlung in Villach; gemeinsam setzen sie sich mittels verschiedener englischsprachiger Zeitschriften in den von den Alliierten damals eingerichteten Informationszentren mit internationalen Kunstströmungen auseinander. Herbert Boeckl ist zu dieser Zeit der einzige österreichische Künstler, der ihn interessiert und dessen Werk er durch Lassnig näher kennenlernt.
1949
Trotz fehlender Motivation für den Hochbau maturiert Rainer mit gutem Erfolg an der Staatsgewerbeschule Villach. Er besteht anschließend die Aufnahmsprüfung für Graphik an der Akademie für angewandte Kunst in Wien, verlässt jedoch die Klasse am selben Tag aufgrund einer künstlerischen Kontroverse mit dem Assistenten Korunka.
Er bewirbt sich kurz darauf an der Akademie der bildenden Künste in Wien (Malerei-Klasse), verlässt auch diese Klasse drei Tage nach bestandener Aufnahmsprüfung, da seine Arbeiten als entartet bezeichnet werden. Er betritt das Haus danach jahrelang nicht mehr.
1950
Anfang der fünfziger Jahre entwickeln sich in Wien ausgeprägte spätsurrealistische Tendenzen, die später als Wiener Schule des phantastischen Realismus zusammengefasst und unter anderem von den Künstlern Arik Brauer, Ernst Fuchs, Rudolf Hausner und Anton Lehmden vertreten werden. Ihre Bilder charakterisieren sich durch die angewandte altmeisterliche Technik, die Detailbesessenheit, scharfe Konturen sowie zahlreiche Lasuren. Die Spätsurrealisten sind Mitglieder des „Art-Club“, einer drei Jahre zuvor gegründeten Organisation von bildenden Künstlern und Kunstschriftstellern.
Rainer hält sich abwechselnd in St. Georgen, Klagenfurt und Wien auf. Im April erscheinen in Klagenfurt die von Max Hölzer und Edgar Jené herausgegebenen ersten Surrealistischen Publikationen. Von diesen Schriften sowie von den vorherrschenden phantastischen Tendenzen beeinflusst, schafft er selbst in diesen Jahren intensiv verdichtete surreale Zeichnungen, lehnt sich aber zunehmend gegen den „Art-Club“-Ästhetizismus auf. Er gründet mit Ernst Fuchs, Anton Lehmden, Arik Brauer, Wolfgang Hollegha und Josef Mikl eine eigene Gruppierung, die er „Hundsgruppe“ nennt. Als Beitrag zur ersten (und letzten) Veröffentlichung der „Hundsgruppe“ entsteht die Graphik-Mappe Cave Canem. Er verwendet zum ersten Mal transparentes Zeichenmaterial.
1950 – 1951
Rainer wohnt während des Winters in Ottakring (16. Wiener Gemeindebezirk). Dort entsteht in einem dunklen, kleinen Kabinett seine erste Hyperzeichnung Ozean, Ozean.
1951
Im März findet die erste (und einzige) Ausstellung der „Hundsgruppe“ in den Räumen der Wiener Gesellschaft für Wissenschaft und Kunst statt. Trotz der Präsenz abstrakter Arbeiten von Mikl und Hollegha sind die surrealistischen und phantasmagorischen Werke in der Überzahl – Rainer selbst hatte den Trennungsstrich zum Surrealismus noch nicht vollzogen. Bei der Eröffnung kommt es zu einem regelrechten Kunstskandal: Rainer, der sich damals „TRRR“ nannte – was an das Knurren eines Hundes erinnern sollte –, startet voller Enttäuschung über die Eröffnungsrede von Ernst Fuchs eine spontane Publikumsbeschimpfung. Er steigt auf eine Leiter und schreit: „Ich spucke auf Euch. Ihr mit Eurer verrotteten Kunstauffassung.“ Damit beginnt offiziell der Tachismus in Wien.
Rainer wendet sich bald nach der Ausstellung von der Phantastik ab und startet erste Versuche, mit geschlossenen Augen zu arbeiten (Blindmalerei). Er schreibt: „1951, zwanzigjährig, begann ich erstmals, Zeichnungen mit geschlossenen Augen anzufertigen. Mein Glaube an die bisherige Kunst war erloschen, ich war in einer Krise, auf einem Nullpunkt angelangt. Ich wusste nicht wie, was, wozu, warum. Etwas völlig Neues, noch nie Gemachtes schien mir unentbehrlich. Aus dem Surrealismus kommend, war ich an der Ideologie des psychischen Automatismus interessiert. So entschloss ich mich, Neues, Unbewusstes dadurch zu entdecken, dass ich die Augen schloss …“
Im Sommer reisen Rainer und Lassnig nach Paris, um André Breton zu besuchen, der sie in ihren Erwartungen schwer enttäuscht. Hingegen werden sie von jener „anderen“, neuen Kunst, die Michel Tapié in der für die Galerie Nina Dausset zusammengestellten Ausstellung „Véhemences Confrontées“ lanciert, tief beeindruckt: l’art informel. Die Ausstellung vereinigt Werke von Bryen, Capogrossi, de Kooning, Hartung, Mathieu, Pollock, Riopelle, Russell und Wols. Vor allem durch die Arbeiten von Wols und Hartung stark bewegt, wendet Rainer sich endgültig von seinen surrealistisch-figurativen Anfängen ab und kommt erstmals zu jenen abstrakten Bildformen, die er als Mikrostrukturen und Atomisationen bezeichnet. Es handelt sich um feinverfilzte Texturen, graphische Kräuselungen, organisch ineinander verwobene, eine Fläche ohne deutliches Zentrum bildende Kompositionen.
Nach ihrer Rückkehr aus Paris organisieren Rainer und Lassnig für den Kärntner Kunstverein die Ausstellung „Junge unfigurative Malerei“. Rainer beteiligt sich mit atomarer Malerei, Blindmalerei, expression élémentaire. Unter dem Pseudonym Zuzlu zeigte er sogenannte „Nadamalerei“: an die Wand gehängte leere Bildrahmen. Es entsteht die Photomappe Perspektiven der Vernichtung als Resümee der neu entwickelten Formauflösungen und Mikromorphologien, die Rainer später mit Wolfgang Kudrnofsky herausgibt.
1952
Von den Mikrostrukturen kommt Rainer zu den Zentralisationen, Zentral- und Vertikalgestaltungen, eher sparsame, aus nur wenigen Strichen zusammengesetzte Zeichnungen. Die Bilder werden auf Sackleinen und alte Bilder gemalt, die er im Wiener Dorotheum ersteigert. Aus Materialmangel begeht Rainer seine ersten (unerlaubten) Übermalungen von fremden Bildern. Er signiert sie mit „TRRR“.
Im Februar präsentiert der Künstler seine neuesten Arbeiten in der Galerie Kleinmayr in Klagenfurt. Im März erhält er eine Einzelausstellung in der Zimmergalerie Franck in Frankfurt am Main, die heute als eine der ersten Manifestationen des Informel in Mitteleuropa gilt. Im dazu veröffentlichten Katalog werden Rainers Textmanifeste Malerei um die Malerei zu verlassen und Das Einzige gegen das Andere abgedruckt.
Er reist zum zweiten Mal nach Paris.
1953 – 1959
Rainer haust als Asket in der möbellosen, verlassenen Villa seiner Eltern in Gainfarn bei Bad Vöslau, Niederösterreich. Dort beginnt er die Reduktionen, eine Werkgruppe aus strengen monochromen Schwarzbildern mit linear-geometrisch abgegrenztem Weißrest. Diese, sowie die Serie der Grundmalerei, die aus monochromen, meist schwarzen Bildern mit einer samtigen, an Malgründe erinnernden Oberfläche besteht, können als Vorstufe zu den Übermalungen angesehen werden.
1953 lernt er in Wien den Domprediger Otto Mauer kennen, dessen Bekanntschaft seine künstlerische Entwicklung entscheidend beeinflussen wird. Monsignore Mauer gründet ein Jahr später die Galerie nächst St. Stephan, mit der er die österreichische Avantgarde entscheidend fördert.
1953 – 1954
Rainer beginnt sich mit Proportionsproblemen, den Proportionsstudien auseinanderzusetzen: „ … im Frühjahr 1953 [entschloss ich mich] zu einem, wie mir damals schien, dialektischem Schritt: ich versuchte, eine Bildnerei, die lediglich auf Proportionen von Farbgewichten bzw. Flächen- und Volumenteilungen beruhte. Ausgangspunkt waren Farbcollagen, die ich durch Parallelverschiebungen von gefärbten Papieren durch Gleichgewichtsüberprüfungen herstellte. Die Farbpapiere lagen aus technischen Gründen horizontal, sodass es mir heute noch schwerfällt, wo oben und unten, wo rechts und links ist, zu bestimmen. Die Farbproportionierungen waren Ausgangspunkt für etwa 100 Ölbilder und 30 Plastiken, die ich aber dann fast alle in einem Anflug der Verzweiflung […] vernichtete, nachdem sie im Herbst 1954 mit großem Misserfolg in der Wiener Galerie Würthle ausgestellt waren.“
1954
Gründung der Galerie nächst St. Stephan als Treffpunkt der jungen Generation. Ihr Leiter, Monsignore Otto Mauer, verschafft damit dem abstrakten Lyrismus der Tachisten im konservativen Wien eine Heimat.
Rainer produziert immer häufiger Übermalungen: Gemalte Zentralgestaltungen werden so lange überarbeitet, bis sie schließlich mit einer schwarzen Fläche überdeckt sind. Dabei wirkt das Prinzip der Zentralgestaltung insofern noch nach, als sich die schwarzen Flächen vom Zentrum aus gegen die Bildränder entwickeln. Er beschreibt diese Phase wie folgt: „Ich befand mich damals […] in einer bewussten Wandlungsabsicht, zum Teil in konträren Bildauffassungen. Ich nahm 1954/55 nach den Proportionsstudien wieder meine gestisch-expressive Bildidee (von 1951/52) auf. Sie gelang mir allerdings nicht mehr so wie 1951/52. Wegen Unzufriedenheit korrigierte ich die Bilder dauernd, bis sie anfingen, immer dunkler zu werden. Daraus entwickelten sich ohne große Konzepte die Übermalungen.“
Rainers Konzentration gilt von nun an (bis ca.1965) den Übermalungen. Dabei experimentiert er mit unterschiedlichen Formen der Bildträger. Es entstehen runde Bilder, aber auch die Kreuzform bezieht er mit ein. Zum einen geht dies auf seine intensive Beschäftigung mit mystischen Inhalten zurück, zum anderen gibt ihm diese strenge (wie symbolgeladene) Kreuzform die Möglichkeit, eine Spannung zwischen der Form und ihrer expressiven Bearbeitung herzustellen.
Neben den Übermalungen beginnt Rainer seine ersten Photoposen. Es kündigt sich darin – wie schon in den Blindzeichnungen – sein späteres Interesse an der Körpersprache an. Einige dieser inszenierten Photo-Selbstporträts werden später übermalt.
1955
Rainer hat seine erste Einzelausstellung in der Galerie St. Stephan.
Gegen Ende des Jahres kommt es in der Liechtensteinstraße in Wien, wo sich das Gemeinschaftsatelier von Prachensky und Hollegha befindet, zur Gründung der Gruppe St. Stephan: Prachensky, Hollegha, Mikl und Rainer kommen überein, dass, um ihrem Qualitätsanspruch gerecht zu werden, das Programm der Galerie nächst St. Stephan ausschließlich ihrer Arbeit gewidmet werden müsse. Die Erfolge der Aktivitäten der Galerie bleiben jedoch bescheiden, da sich die Malergruppe kurz nach Übernahme des Informel wieder aufzulösen beginnt.
1956 – 1957
Es entsteht die Serie der Kruzifikationen: Rainer setzt ca. 15 Kreuze verschiedener Größe aus Hartfaserplatten zusammen und übermalt sie.
Er stellt mit seinen drei Malerkollegen aus der Gruppe St. Stephan, Hollegha, Mikl und Prachensky, für die Wiener Secession die Ausstellung „Monochrome Komplexe“ (Schwarzmalerei, Blauserie und Rotbilder) zusammen.
In der sogenannten Bildverbrennungsaktion vernichtet er 1957 in Gainfarn Proportionscollagen und andere frühe Werke.
1958
Rainer schafft monochrome Bildgründe, „NNN-Malerei“.
Er hält am 11. Jänner in der Galerie nächst St. Stefan einen Vortrag über 10 Thesen zu einer progressiven Malerei und veröffentlicht (gemeinsam mit Prachensky) das Manifest Architektur mit Händen.
1958 – 1963
Sam Francis, Georges Mathieu, Emilio Vedova, Victor Vasarely und viele andere Künstler stellen Rainer Arbeiten zum Übermalen zur Verfügung.
1959
Rainer bezieht ein größeres Atelier in der Wollzeile 36 im 1. Bezirk, Wien.
Am 17. September gründet er mit den Malern Ernst Fuchs und Friedensreich Hundertwasser das „Pintorarium“, als „Creatorium zur Einäscherung der Akademie“. Auf dem zu diesem Anlass veröffentlichten Plakatmanifest ist zu lesen: „Um das Zentrum unserer heutigen Kultur, die Malerei, vor der Kastrierung in den Akademien zu retten, ist es notwendig, die Jugend mit einer Imagination zu verseuchen, mit der Vorstellung eines Zentrums, eines Nestes, einer Höhle, in der das kreative Leben genügend Licht und Luft hat zu gedeihen. Diese Imagination wird ihr den Mut geben, unsere Kunstschulen zu boykottieren und zu verlassen, denn jede Form des Schulemachens hat sich heute aufgehört.“
Das „Pintorarium“ bleibt bis zu seiner Auflösung 1968 durch die Vereinspolizei bestehen.
Der Filmemacher Peter Kubelka beginnt den Film Arnulf Rainer zu drehen, der nur aus weißen und schwarzen Flächen aufgebaut ist.
1960
Rainer nimmt an der Ausstellung „Monochrome Malerei“ (mit unter anderem Fontana, Manzoni, Klein, Rothko, Geiger, Girke) in Leverkusen teil.
Als Weiterentwicklung der Vertikalgestaltungen von 1952 entsteht die Bildserie der Stämme.
1961
Rainer wird in Wolfsburg wegen der öffentlichen Übermalung eines prämierten Bildes gerichtlich verurteilt. Bei der Eröffnung der Ausstellung „Junge Stadt sieht junge Kunst“ übermalt er demonstrativ mit schwarzer Farbe das soeben preisgekrönte Werk Mond und Figuren II der Graphikerin Helga Pape aus Schoeppenstedt (Landkreis Braunschweig) und heftet an das Bild eine Karte mit der bedruckten Aufschrift: „Übermalt von Arnulf Rainer“. Die Presse berichtet: „Die schnell herbeigeholte Polizei ergriff den Anschwärzer, verhörte ihn und sperrte ihn vorübergehend in eine Zelle. Die Staatsanwaltschaft Hildesheim klagt ihn nun an, ‚vorsätzlich einen Gegenstand der Kunst, welcher öffentlich abgestellt gewesen ist, beschädigt zu haben, indem er eine Radierung in der Ausstellung ‚Junge Stadt sieht junge Kunst‘ in Wolfsburg mit schwarzer Farbe überschmierte. – Vergehen strafbar nach § 304 STGB.‘ Die Geldbuße, die den Wiener Bilderstürmer erwartet, ist, wie man hört, beträchtlich.“
1962
Rainer wird zu Ausstellungen in Düsseldorf (Galerie Schmela), Karlsruhe (Galerie Rottloff), und Tokio eingeladen. Er ist auf der Graphik-Biennale in Mailand und in der Ausstellung „Comparaisons“ im Musée national d’Art moderne – Centre Georges Pompidou in Paris vertreten.
1963
Er bezieht sein zweites Atelier in Westberlin, das er bis 1967 behält.
Im Herbst erscheint eine Mappe mit 10 Kaltnadelarbeiten Haute Coiffure.
Er beginnt Zeichnungen von Irrenkünstlern zu sammeln.
1964 – 1965
Rainer startet seine Experimente, unter Drogen- und Alkoholrausch zu zeichnen. Durch die Drogen sowie seine intensive Beschäftigung mit der Malerei von Geisteskranken angeregt, entwickelt er eine halluzinative, fast frenetische Arbeitsweise und greift dabei unbewusst auf seine eigenen figurativen, surrealistischen Anfänge zurück, wobei die malerischen Erfahrungen der Übermalungen jedoch sichtbar bleiben. Es entstehen starkfarbige Übermalungen, Explosionen, Kometenbahnen und Bögen.
Rainer nimmt das Zeichnen auf transparenten Kunststoff-Folien (Ultraphan) wieder auf, um druckgraphische Möglichkeiten einzubeziehen.
1966
Die eben entstandenen Werke werden in der Galerie Peithner-Lichtenfels in Wien ausgestellt. Rainer erhält den Österreichischen Staatspreis für Graphik.
Er zeichnet an der Universitätsklinik in Lausanne im Psilocybin-Rausch und wird dabei gefilmt.
1967
Er bezieht ein großes Atelier in der Mariahilfer Straße 49, Wien (6. Bezirk). Es entstehen dort neue „Hyperzeichnungen“. Die im Selbstverlag in Wien und Berlin entstandene Mappe Wahnhall wird veröffentlicht.
Anlässlich eines Fernsehinterviews verspricht Rainer, die 65 000 wichtigsten historischen Persönlichkeiten zu malen.
Zur Eröffnung der „Pintorarium“-Ausstellung in München führt Rainer seine erste Körperbemalung durch: Er zieht einen großen schwarzen Vertikalstrich über den Rücken eines nackten blonden Mädchens.
Er arbeitet unter LSD-Einfluss im Max-Planck-Institut in München.
1968
Im Februar präsentiert Rainer in Wien öffentlich seine erste visuelle Selbstgestaltung: Er bemalt sein Gesicht und seine Hände mit schwarzer Farbe.
Das Museum des 20. Jahrhunderts organisiert eine große Retrospektive über seine Arbeit.
1969
Rainer stellt in Köln, Innsbruck, Bremen, Linz, München und Berlin aus.
Er lässt Grimassenphotos mit und ohne Gesichtsbemalung (entweder im Photomaton oder durch einen Photographen) anfertigen, die er dann wiederum be- und übermalt. Die Grimassierungen und Verhaltensweisen Geisteskranker, mit denen er sich intensiv auseinandersetzt, stellen dabei für Rainer ein reiches Potential von Ausdrucksmöglichkeiten dar. Er schreibt: „Die Gesichter, die ich früher zeichnete, hatten alle unmögliche Falten, falsche Furchen, erfundene Akzentuierungen. Sie fehlten mir auf den Photos. Als ich sie auf die Wangen pinselte, und damit spazieren ging, fühlte ich mich als neuer Mensch […]. Erst als ich begann, die Photos meiner mimischen Farcen zeichnerisch zu überarbeiten, entdeckte ich Überraschendes: Lauter neue, unbekannte Menschen, die in mir lauerten, die aber meine Muskeln alleine nicht formulieren konnten.“
Rainer schafft somit eine Art Mischform zwischen dem schauspielerischen und dem graphischen Ausdrucksmedium (vgl. auch seine früheren Aktionen: Publikumsbeschimpfung von 1951, Wolfsburger Affäre, Rausch-Erfahrungen, Zusammenarbeit mit Peter Kubelka, usw.) und nähert sich insofern den Wiener Aktionisten Hermann Nitsch, Günter Brus, Otto Mühl und Rudolf Schwarzkogler an, ohne jedoch deren Gruppierung je anzugehören. Rainer beschreibt den divergierenden künstlerischen Ansatz wie folgt: „ … die Aktionisten […] haben versucht, Inhalte, die latent vorhanden waren, in einer Sprache des Theatralischen und durch gewisse Abläufe zu explizieren. Wobei aber die Körperhaltung und die Körperformen eine sehr untergeordnete Rolle gespielt haben. Während die Materialien und der Umgang mit ihnen etwas sehr Wesentliches gewesen ist […]. Für mich ist das Material eigentlich sehr sekundär, und ich arbeite jetzt überhaupt ohne irgendwelche Dinge […]. Es kommt mir lediglich auf die physisch-körperliche Expression an.“
1970
Rainer schafft zahlreiche Serien von überarbeiteten Grimassenphotos: Face Farces. Da ihm jedoch die Photos die bei der Grimasse auftretende nervöse Erregung zu wenig dokumentieren, versucht er, diese durch graphische Überarbeitung zusätzlich zu suggerieren. Später entwickelt er durch den Einsatz des ganzen Körpers leibliche Ausdruckshaltungen wie Handposen, Knie-, Liege- und Sitzposen, Mouthpieces, Knieserie, Gummibandserie, Yoga usw.
Rainer übermalt und überzeichnet jedoch nicht nur Aufnahmen eigener Gesten und Posen, sondern später auch – jeweils serienweise – Aufnahmen psychotischer Körpersprache. Es entstehen die Serien der Katatonika (1972/76), Felsen (1974/76), Höhlen (1975/77), Untergrundarchitektur (1975/77), Frauenposen (1977), Lesbische Frauenliebe (1977), Totenmasken (1977/78).
1971
Rainer nimmt an der Ausstellung „Anfänge des Informel in Österreich, 1949–1953“ teil. Der Kunstverein Hamburg widmet ihm die erste große Retrospektive in Deutschland. Weiters ist der Künstler mit 38 Arbeiten auf der 11. Biennale von São Paulo vertreten.
Er bezieht ein Atelier in Köln.
1972
Rainer erweitert seine künstlerische Technik durch die Medien Video und Film. Es entsteht eine Reihe von Film- und Videoaufzeichnungen, die man auch dem Bereich der Selbstdarstellung zuordnen kann. Er nimmt Kader aus diesen Filmen als Grundlage für Photoüberarbeitungen.
Kreuzübermalungen und Photoüberzeichnungen (Face Farces) werden auf der documenta 5 in Kassel gezeigt.
1973
Rainer beginnt, an Gestischen Handmalereien zu arbeiten, denen sich Finger- und Fußmalereien anschließen. Er schreibt: „Die Gestik des Betatschens, Streichelns oder Hauens mag ihre konkrete Aktivierung als Videokunst in Betasten, Ohrfeigen oder Besalben einer anderen Person finden – die eigenen Fingerspuren auf der reinen weißen Malfläche bringen mich aber genügend in Raserei, um mir das harte, weiße Bildrechteck als Geliebte zu imaginieren, deren Berührung dann jene Spuren hinterlassen, die hier als Qualitäten von Malerei behauptet werden.“ Die erste Ausstellung dieser Arbeiten findet 1974 im Kunstraum München statt.
Es entstehen die Serien Stirnserie und Mouthpieces.
1974
Rainer wird mit dem Kunstpreis der Stadt Wien ausgezeichnet. Er verweigert jedoch die Teilnahme an der Übergabezeremonie, was zur Aberkennung des Preises führt.
Er beginnt seine jahrelange Zusammenarbeit mit Dieter Roth: Misch- und Trennkunst.
Es entstehen verschiedene Video tapes, sowie der Film Verlegenes und Vergebliches.
Der von Kubelka realisierte Film Arnulf Rainer gefilmt von Peter Kubelka wird öffentlich vorgestellt.
1975
Rainer inspiriert sich, wie bereits früher, an den Arbeiten von Künstlerkollegen. Es entstehen zahlreiche Serien von Kunst über Kunst: Er überarbeitet Photos nach Gustave Doré, Anton Maria Zanetti, Leonardo da Vinci, Franz Xaver Messerschmidt, Vincent van Gogh usw.
Es erscheint die Photomappe Nervenkrampf in der Edition Hundertmark.
Rainer verliert sein Kölner Atelier, da das Haus abgerissen wird.
1977
Er beginnt die Serie der Photoüberzeichnungen nach den Grimassenköpfen des österreichischen Barockbildhauers Franz Xaver Messerschmidt.
Weiters entstehen die Zyklen Frauenposen, Ekstasen, Lovers, Trancen, Künstlertiere, Totenmasken.
Er nimmt an der documenta 6 teil.
1978
Rainer vertritt Österreich auf der Biennale von Venedig mit Körpersprache-Arbeiten.
Er erhält im November den Großen Österreichischen Staatspreis „in Würdigung seines Schaffens auf dem Gebiete der bildenden Kunst“.
1979
Es entstehen die Folgen Nijinski, Leichengesichter, und Nachmalungen (Kopien von Schimpansenmalereien).
Er realisiert zusammen mit Dieter Roth eine Aktion im Rahmen der Wiener Biennale für neue Kunst „Expansion“ in der Wiener Secession.
1980
Rainer erwirbt seine Ateliers in Oberösterreich und Bayern (Kloster Vornbach bei Passau).
Eine Auswahl seiner Hand- und Fingermalerei wird auf der documenta 7 in Kassel gezeigt.
Er kehrt zu religiösen Themen zurück: Kreuze, Christusdarstellungen.
1981
Rainer wird zum Professor an der Akademie der bildenden Künste in Wien ernannt und Mitglied der Akademie der Künste in Berlin.
1984
Er erhält eine große Retrospektive im Musée national d’Art moderne–Centre Georges Pompidou in Paris unter dem Titel „Mort et Sacrifice“.
1986
Ankauf eines großen Face Farce-Gemäldes durch das Solomon R. Guggenheim, New York.
1987
Das Museum of Modern Art, New York, erwirbt eines der großen, neuen Kreuze.
1989
Umfassende Retrospektive im Guggenheim-Museum in New York, die anschließend im Museum of Contemporary Art in Chicago, im Historischen Museum der Stadt Wien und 1990 im Castello di Rivoli in Turin sowie im Gemeentemuseum in Den Haag gezeigt wird.
1991 – 1992
Beginn der Arbeit an den Märtyrer- und Katastrophenbildern und an der Engel-Serie.
1993 – 1994
Es entsteht die Serie der Kosmos-Bilder.
1994
Unbekannte Täter zerstören im Atelier von Rainer in der Akademie der bildenden Künste in Wien 26 Gemälde, woraufhin er 1995 auf eigenen Wunsch erimitiert.
1996
Erstmalige Ausstellung der seit 1994 entstandenen Mikrokosmos, Makrokosmos Bilder, in der Kärntner Landesgalerie, bei denen Rainer neue Techniken und Materialien wie geriefeltes Aluminiumblech, durch Schrotkugelbeschuss strukturierter Karton, Kartonfräsungen von Wurzelstrukturen, geologische Strukturen, Stern- bzw. Himmelsstrukturen, anwendet.
Rainer beginnt seine Arbeit an den Bibelillustrationen.
2000
Anlässlich des 70. Geburtstags organisiert das Stedelijk Museum in Amsterdam und das Kunstforum in Wien eine große Retrospektive.
2001
Die Städtische Galerie im Lenbachhaus in München zeigt die Bibelillustrationen aus der Sammlung Frieder Burda.
2002
Die Pinakothek der Moderne in München widmet Rainer einen Raum, in dem einige seiner Werke permanent gezeigt werden.
2003
Rainer erhält den Rhenus Kunstpreis für sein Gesamtwerk. Nach Baselitz und Polke ist er der dritte Künstler, der mit diesem Preis geehrt wird.
Das Museo Correr zeigt die Serie Canova-Rainer.
Rainer beginnt zu photographieren, zuerst um Vorlagen für seine Überarbeitungen zu haben, später werden sie dann nicht mehr übermalt und sind eigenständige Arbeiten.
Die Galerie Karl Pfefferle in München stellt diese neuen photographischen Werke aus, die Motive unter Wasser und knapp über der Oberfläche zeigen.
2003 – 2004
Anlässlich der XI. Biennale d’Arte Sacra zeigt das Museo Diocesano, Chiostro di Sant’Apollonia in Venedig eine Auswahl von religiösen Arbeiten unter dem Titel „Arnulf Rainer – Sotto la Croce“.
2004
Die Kunsthalle der Jesuitenkirche in Aschaffenburg widmet ihm eine Ausstellung.
Am 25. Juni verleiht ihm die katholische Fakultät der Universität Münster den Ehrendoktortitel.
2005
Das Privatmuseum la maison rouge, fondation antoine de galbert in Paris zeigt eine Gegenüberstellung von eigenen Werken und Beispielen aus seiner Sammlung, „arnulf rainer et sa collection d’art brut“.
Die Sammlung Essl, Klosterneuburg stellt Rainer gemeinsam mit Antoni Tàpies aus, „Tàpies–Rainer, Porteurs de Secret“.
Parallel ist Arnulf Rainer zu Gast im Armando Museum in Amersfoort mit der Ausstellung „Körpersprache–Landschaftssprache“.
2006
Am 18. Mai wird Arnulf Rainer das Ehrendoktorat der Theologie von der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz verliehen.
Die Comunidad de Madrid und das CAAM, Gran Canaria zeigt die Ausstellung „Arnulf Rainer – Dieter Roth. Mezclarse y separarse“ (Misch- und Trennkunst).
Am 29. September erhält Rainer als erster nichtspanischer Künstler den Premio Aragón-Goya für sein Lebenswerk und seine künstlerische Verwandtschaft mit Francisco de Goya.
Gleichzeitig ehrt ihn das Museo de Zaragoza mit einer Ausstellung von Goya-Überarbeitungen aus den achtziger Jahren und den Jahren 2005/06.
Das MAK, Wien präsentiert eine Auswahl von Originalentwürfen zu seinen Plakaten in der Ausstellung „RAINER, sonst keiner! Überschriftungen“.
Der Sammler Frieder Burda zeigt die Werkgruppe der Bibelübermalungen in seinem Museum in Baden-Baden.
2007
Das MAK Center for Art and Architecture, Los Angeles zeigt die Ausstellung der Plakatentwürfe unter dem Titel „Arnulf Rainer. Hyper-Graphics“.
Die Galerie Heike Curtze präsentiert erstmals neue Arbeiten, in denen Rainer seine eigenen Photographien mit Graphismen versieht. Die Ausstellung heißt „Fotos maltrechas/Fehlfotografie“.
Die Deichtorhallen Hamburg übernehmen die Ausstellung „Arnulf Rainer – Dieter Roth. Misch- und Trennkunst“.
2008
Die Galerie Kovacek in Wien zeigt Arbeiten der Serie Kanarien aus den Jahren 2006/07. Das Schiller-Museum in Weimar zeigt anlässlich seiner Neueröffnung eine Ausstellung über Victor Hugo und präsentiert darin einen Teil von Rainers Hugo-Zyklus. Das Belvedere Wien zeigt in der Orangerie eine große Auswahl von Werken der Misch- und Trennkunst von Arnulf Rainer und Dieter Roth.
2009
Im September 2009 wird das Arnulf Rainer Museum im Frauenbad in Baden bei Wien mit der Ausstellung „Aller Anfang ist schwer. Frühe Arbeiten 1949 – 1961“ eröffnet.
2010
Die Pinakothek der Moderne in der Alten Pinakothek München zeigt eine Einzelausstellung mit dem Titel „Arnulf Rainer. Der Übermaler“. Weitere Ausstellungen in der Galerie Karl Pfefferle, München, im Arnulf Rainer Museum in Baden bei Wien sowie in Mailand und Paris.
2011
Das Maison de Victor Hugo, Paris zeigt die Ausstellung „Arnulf Rainer/Victor Hugo Surpeintures“. Im Arnulf Rainer Museum ist die Ausstellung „Lustspiel – Neues aus dem Atelier. Georg Baselitz/Arnulf Rainer“ zu sehen. In der Real Academia de las Bellas Artes de San Fernando, Madrid werden neben frühen auch neue Goya-Überarbeitungen präsentiert.
2012
Rainer malt eine Serie von Schwarzen Bögen und Kurven auf Zeichenkarton und später auf Holz. Er fotografiert seine Vorlagen zunehmend selbst. Einzelausstellungen finden in der Kunsthalle Rostock und im Arnulf Rainer Museum statt. Ausstellungsbeteiligungen im Getty Museum, Los Angeles, in der Tate Liverpool und im MOMA New York.
2013
Es finden Ausstellungen in Teneriffa, im Museum Picasso Málaga und in der Galerie Thoman, Innsbruck statt. Das Arnulf Rainer Museum zeigt eine Ausstellung zu Arnulf Rainer und Mario Merz und eine weitere mit dem Titel „Arnulf Rainer und die alte Kunst“.
2014
Die Albertina Wien widmet dem Künstler zum 85. Geburtstag eine Retrospektive. Das Arnulf Rainer Museum zeigt die Ausstellung „Damien Hirst- Arnulf Rainer“.
2015-16
Im April 2015 wird Arnulf Rainer von Kulturminister Josef Ostermayer das „Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse“ verliehen.
Die Retrospektive der Albertina Wien wird im Frieder Burda Museum in Baden-Baden gezeigt. Im Arnulf Rainer Museum wird bis Mai 2016 die Ausstellung „Arnulf Rainer – Pinselrausch“ präsentiert.
2017
Das Lentos Linz zeigt eine Ausstellung mit neuen Arbeiten auf Papier.